Category: Berlin, Berlin

Pyjama-Calls aus dem Homeoffice

 

Die schönste Nachricht aus dem Homeoffice erreichte mich über meinen guten Freund Alex.

„Heute morgen um neun hatte ich einen Video-Call mit meinem Team. Rate mal, in welchem Aufzug sich eine Kollegin dazuschaltete?“ Ich kam nicht drauf. „Sie saß im Schneidersitz auf ihrem Bett und trug ein verwaschenes Motto-T-Shirt zu einer verschlissenen Pyjama-Hose“, sagte er fassungslos.

„Na und?“ Ich war beeindruckt. „Ist doch ziemlich lässig, oder nicht?“ Alex sah das anders. „Geht so. Ihre Haare waren definitiv nicht gekämmt. Die standen total Out-Of-Bed-mäßig und wirr in alle Himmelsrichtungen ab.“ Ich schmunzelte. Die Geschichte wurde ja immer besser. „Wahrscheinlich war sie eine Minute vor dem Call aufgewacht”, überlegte ich. “Und deshalb hatte die Kollegin doch wahrscheinlich gar keine andere Wahl, als sich schnell dazuzuschalten?“ Alex zögerte. „Kann schon sein“, räumte er dann ein. „Aber in so einem Fall würd’ ich mir doch wenigstens ein halbwegs seriöses Sweatshirt überwerfen und mich schnell aufs Sofa rübersetzen.“

„Kann es sein, dass sie gar kein Sofa hat? Hey, vielleicht lebt sie ja in einer WG?“ Darüber musste Alex jetzt erstmal nachdenken. „Sie ist noch unter dreißig. Klar, das könnte natürlich sein….“ Im Hintergrund gurgelte jetzt ein Espresso-Kocher, der gerade in Alex ultraschicker Single-Küche aufzukochen schien. „Trotzdem. Ihr müsste doch vollkommen klar sein, was ein solcher Aufzug für ein Signal auf mich als Ihren Vorgesetzten sendet.“ Alex klapperte kurz mit Porzellan herum. „Ich meine, die scheint mich ja gar nicht voll zu nehmen.“

„Aber sowas von  nicht…“, lachte ich. Dann tat mir Alex leid. „Ach, was. Ich würde den Vorfall nicht überbewerten. Ich mag an den Millenials ja, dass sie die angelsächsische Führungskultur, die in den meisten Firmen ja doch noch unterschwellig durchgezogen wird, obwohl bei jeder Team-Offsite das Gegenteil behauptet wird, einfach null Ernst nehmen.“

„Also, bei uns im Büro ist tatsächlich schon alles längst total agil und scrum und Zoom und Slack…“, verteidigte Alex sich. In der Telefonleitung sirrte jetzt ein Hand-Milchschäumer auf. „Weißt Du, das Neuste ist ja, dass einige aus meinem Team sich jetzt ständig für zweieinhalb Stunden lang in die Mittagspause verabschieden. Rate mal, wo die so lange sind?”

“Schnitzelessen im Borchardts?” Ich fragte mich gerade, weshalb ich mir mittags in der Regel vor dem Rechner ein wabbeliges Sandwich reinwürgte, während andere es sich gutgehen ließen, als Alex meine Gedanken unterbrach. “Ein Schnitzel im Borchardt’s dauert doch keine zweieinhalb Stunden”, sagte er. “Nein, nein, die mieten sich einen Mini und knattern zusammen an den KuDamm, um sich erstmal in aller Ruhe neue Sneakers zu holen.“

Ich musste lachen. „Kann doch sein, dass die einfach noch ein paar Überstunden abzubummeln hatten?”

„Hatten die nicht“, widersprach Alex mir. „Und das sind dann dieselben Gestalten, die sich in den brandneuen Hipster-Puschen ab 15 Uhr am Tischkicker das erste Bier aufmachen oder sich für den Rest des Tages in die Chill-Area werfen, um Playstation zu daddeln.“ Jetzt lachte auch Alex. „Und weißt Du was, im Zielvereinbarungsgespräch kann ich sowas noch nicht mal ansatzweise ansprechen.“

„Weshalb denn das nicht?“

„Weil Kritik bei uns im Team nur noch in anonymen 360-Grad-Votings ausgeübt werden soll.“ Das musste Alex mir jetzt erklären. „Wie, das kennst Du nicht?” Ich hörte ihn an seinem Kaffee schlürfen,  der noch sehr heiß zu sein schien. “Also, es ist ganz einfach: alle loggen sich über Ihre Rechner in ein Umfrageforumlar ein und behaupten dann anonym, dass sie permanent ausgebeutet werden oder du als Chef eine komplette Voll-Niete bist, die möglichst schnell abgesägt werden sollte.“

„Moment, darüber hab ich mal ein Buch gelesen. Das Voting hat Google doch bei sich eingeführt , oder nicht? Ich dachte ja immer, dass die geheimen Abstimmungen total fair sind. Und dass Mitarbeiter einen ja generell auch nicht immer auf Teufelkommraus absägen wollen.“

„Also, ich hab‘ da leider ganz andere Erfahrungen“, sagte Alex trocken. In seiner Leitung piepste es. „Ups, das ist mein Timer. Tut mir leid, aber ich muss in zwei Minuten in einen Video-Call mit einer wichtigen Kundin“, erklärte er mir jetzt etwas gehetzt.

„Ist die Pyjama-Kollegin wieder dabei?“, fragte ich schnell. „Ist sie!”, bestätigte er. “Ich hoff‘ nur, die hat sich inzwischen mal geduscht und was anderes übergeworfen. Hatte ja immerhin zwei Stunden Zeit.“

„Und wenn nicht?“

„Na, dann hält uns die Kundin, die bei einer großen Bank arbeitet und dort übrigens den Marketing-Etat für ganz Europa managed, wahrscheinlich für die unprofessionellste Schrott-Bude aller Zeiten.“

„Meinst du, die kündigen Euch dann den Agentur-Retainer?“

„Könnte gut sein“, sagte er nachdenklich. „Dann müssten wir die Agentur zwar erstmal verkleinern, aber das würde für ein paar Mitarbeiter dann wohl auch erstmal das Ende dieser zweieinhalbstündigen Shopping-Touren in den Nike-Store bedeuten. Können die doch auch samstags machen. So wie alle anderen Leute ohne Kinder oder Katzen, deren Klos samstags mal mit neuem Streu befüllt werden müssten.“

Ich lachte. „Wenn nach der Corona-Phase alles an die Wand fährt, gründen wir einfach was Neues! Los, sag ‘ja!’“

„Wäre auf jeden Fall dabei!“ Alex klang tatsächlich ziemlich begeistert. „Und dann bitte mal wieder eine Firma ohne Tischkicker und Playstation. Wir sind doch keine Vierzehn mehr.”

„Oder einfach mal umgekehrt!”, schlug ich vor. “Wir ballern die Räume einfach total ironisch zu mit Tischkickern, Playstations, Skate-Ramp, vollverglasten Getränke-Kühlschränken, Filterkaffeemaschinen im Siebziger-Look und agentureigenem Burgergrill.” Ich überlegte kurz. “Ach, ja, in den Eingangsbereich und in jedes einzelne Zimmer würd’ ich gern tischtennisplattengroße Flatscreens schrauben lassen, auf denen alle “Star Wars”-Folgen in Dauerschleife gezeigt werden.”

Alex war kurz baff. “Und was machen wir, wenn Kunden auf einen Termin bei uns in der Agentur bestehen? Das müssen wir ja wohl unbedingt verhindern…” Er hörte sich nicht gerade überzeugt an. “Im Ernst jetzt. Wie soll man denn bei einer Besprechung in einem Konfi, in dem doch nur noch ein paar zusammengeknüllte Simpsons-Boxershorts auf dem Fußboden fehlen, vor den Kunden rechtfertigen, dass man auf der nächsten Rechnung bitte erstmal schlappe 500.000 Euro für die strategische Neuentwicklung ihres Twitter-Accounts abkassieren müsste.”

“Ach, was!”, beruhigte ich ihn. “Die Kunden werden die Räume auf jeden Fall cool finden. Und einige raffen vermutlich auch gar nicht, dass wir es mit den Jugendzimmer-Gadgets vollkommen ironisch meinen.”

Alex gab sich geschlagen. “Alles klar, bin am Start.” Dann hatte er doch noch einen Einwand. “Weitere Mitarbeiter aber bitte nur, wenn sie uns vor Arbeitsantritt unterschreiben, dass sie sich nicht im Schlafanzug in die Video-Schalte einwählen. Ich ertrag’s ich einfach nicht, ist mir einfach way too much. Los, versprich’s!”

“Ist hiermit versprochen”, sagte ich feierlich und dann legten wir auf.

(Animation: Studio Petersen)

Das Klassentreffen

Wir stehen abends im Bad vor dem Waschbecken. B. putzt seine Zähne, ich verteile Reinigungsmilch im Gesicht. Alle Kinder schlafen.

Er: “Was dagegen, wenn ich morgen Abend Pommes und Fischstäbchen für uns alle mache?”

Ich: “Bist Du irre? Schon vergessen, dass ich im Juni dieses Abitreffen habe? Bis dahin muss meine Haut muss mindestens so leuchten, als wär’ ich gerade von einer zehnwöchigen Detox-Kur aus Bali zurück.”

B. schaut im Spiegel verständnislos zu mir rüber: “Abitreffen?”

Ich: “10 Jahre Abitur, Du weisst schon. Hab’ ich Dir doch erzählt.”

B. schrubbt nachdenklich weiter. Dann nimmt er die Zahnbürste aus dem Mund. “Zehn Jahre? Ganz ehrlich, da kann doch jetzt was nicht ganz stimmen…”

Ich: “Weshalb denn nicht? ‘Türlich stimmt das!” Werfe mir hektisch mit den Händen etwas Wasser ins Gesicht, um Zeit zu gewinnen.

Als ich fertig bin: “OK, dann sind es eben keine zehn Jahre.” Ich drehe das Wasser ab. “Ist doch auch vollkommen wurscht”, sage ich, bevor ich mein Gesicht in einem frischen, weißen Handtuch abtrockne. “Worauf ich hinauswollte: ich muss bis dahin jedenfalls spektakulär aussehen!” Das Handtuch ist jetzt voller schwarzer Maskara-Flecken.

Er grinst ein weißes Zahnpastaschaumgrinsen. “Aber du siehst doch immer spektakulär aus.”

Wir schauen beide auf meine ölig-schwarz verschmierten Pandabärchen-Augen.

Ich: “Also, das ist jetzt glatt gelogen.” Öffne die Badezimmerkommode und krame Wattepads und Gesichtswasser heraus, um mir die Pandabärchen aus dem Gesicht zu schrubbeln.

“Jetzt mach’ Dir doch nicht so einen Stress.” B. hält seine Zahnbürste unter den Wasserhahn. “Die anderen sind doch in den letzten Jahren auch etwas…”, er schaut vorsichtig zu mir rüber, “…älter geworden.”

“Ist mir vollkommen wurscht, wie alt die anderen aussehen. Um DIE geht es doch gar nicht.” Ich werfe die schmutzigen Wattepads in den kleinen Mülleimer. “Es geht um mich. Um das, was ICH mal war. Und um das, was heute eigentlich noch von meinem früheren Selbst noch übrig ist.” Theatralisches Schweigen.

B. lacht. “Sorry, aber da komm’ ich jetzt gerade nicht mehr ganz mit. Aber sieh’ es doch mal so. Ihr trefft Euch doch eh tagsüber, oder nicht? Das wird sicher total lustig. Es gibt bestimmt ein bißchen Kaffee und Kuchen, jemand zeigt Fotos von früher, vielleicht schaut noch ein Mathe-Lehrer vorbei …”

Ich: “Das ist ja das Problem! Tagsüber sieht man doch noch beschissener aus. Wenn es dann auch noch regnet, sehe ich auf diesem ollen Molkerei-und-Käse-Hof, auf dem wir uns treffen, doch mindestens so aus, als wär’ ich knapp unter hundert.”

“Also, ich mach’ dann morgen die Fischstäbchen und die Pommes.” B. dreht sich um und geht durch die Badezimmer-Tür in die Diele.

“Hast Du denn keine Angst,” rufe ich hinterher, “dass ich da auf eine Jugendliebe treffe, mit der ich nach der Feier sofort Sex haben und ein neues Leben beginnen will?”

B. bleibt stehen. “Du meinst, so, wie L. das neulich passiert ist?”

Ich: “Genau!” L. hatte auf einem Abitreffen mit einem alten Schulfreund wiedergetroffen, mit dem sie sich auf Anhieb so gut verstand, dass er innerhalb von ein paar Tagen seine Frau verließ und die Scheidung einreichte, um mit L. zusammenzukommen. Beide sind sehr glücklich miteinander.

“Dass auf diesen Klassentreffen einige sofort miteinander abstürzen, ist doch klar”, sage ich. “Endlich trifft man mal auf Leute, die einen noch aus einer ganz anderen Zeit kennen. Einer Zeit, in der alle Freunde…”, meine Stimme klingt jetzt etwas brüchig, “… nach der Schule noch MTV geguckt haben. Und wenn jemand von uns Geburtstag hatte, musste man sich mit Leuten noch auf eine Platte einigen, die einer von uns dann nachmittags für bei Karstadt besorgt hat. Heute schenkt man sich nur noch ein Guthaben für den App-Store oder einen dusseligen Amazon-Account.”

Mit Schwung schiebe ich die Kommode zu. Dabei klemme ich die schlauchartige Tüte mit den Wattepads ein. Ein paar Pads fallen aus der abgeknickten Tüte auf die Fliesen. “Würde mich wirklich null wundern, wenn sich auf dem Abitreffen einige fragen, wer denn eigentlich diese übernächtigte Stressbacke ist. Diese Person mit den fettigen Haaren und der grauen Haut, die den Kindern zuliebe ständig Fischstäbchen mit Pommes essen muss und die perfekte Assi-Mami fürs Privatfernsehen abgäbe.” Ich kratze ein paar festgetrocknete Zahnpastaspritzer vom Spiegel. “Vielleicht rufe ich morgen direkt mal bei RTL2 an. Könnte mir vorstellen, dass die einem noch 150,- Euro für zweieinhalb Sendeminuten mit Fluppe im Mundwinkel bei “Hartes Deutschland – Leben im Brennpunkt” zahlen…”

“Schon gut, ich mach’ uns Spaghetti.” B. kommt von der Diele ins Bad zurück und nimmt mich in den Arm. Er drückt mir einen Kuss auf die hochgeknotete Abschminkfrisur. “Kommst Du jetzt bitte ins Bett. Du baust gerade tierisch ab.”

Ich schalte das Licht aus. “Aber knutschen darf ich auf der Feier schon mal kurz? Muss ja nicht heißen, dass ich gleich mein ganzes Leben über Bord werfe…”

“Also, ich fänd’s krass scheiße,…” B. nimmt meine Hand und zieht mich aus dem Bad. “…aber wenn Du meinst, dass Du das auf dem Käsehof unbedingt machen musst.”

Im stockdunklen Schlafzimmer schleichen wir uns auf Zehenspitzen an unserer leise schnarchenden Tochter vorbei ins Doppelbett. Nachdem wir beide unser Kindle in den Händen halten und ein wenig gelesen haben, flüstere ich zu B. rüber: “Du musst Dir übrigens keine Gedanken machen. Bei Kaffee, Kuchen und Führung durch die Käserei kommt doch eh keine Stimmung auf, in der man unbedingt miteinander rummachen muss.” B. reagiert nicht. Zwei Sekunden später höre ich von seinem Kissen regelmässige Atemzüge, die nur vom leisen Schnarchen unserer Tochter übertönt werden.

Zeichnung: Studio PETERSEN

Erdbeersommer

 

 

Meine Tage rasen nur so dahin. Kann sein, dass das nur so ein Gefühl ist. Und kann auch sein, dass ich manchmal entschieden zu viele Tassen Kaffee hintereinander wegtrinke. Aber immerhin halte ich mich als Mutter einer noch sehr kleinen Tochter an die von mir selbst aufgestellte Regel “Kein Kaffee nach 15 Uhr”. Jeder Kaffee, den ich mir etwa um 15.02 Uhr mache, führt in meinem Fall nur dazu, dass ich gegen 22.30 Uhr mit weit aufgerissenen Augen im Bett liege, an die Schlafzimmerdecke starre und mich verzweifelt frage, was ich allen achtundneunzig Leuten, die in den nächsten Wochen garantiert etwas für mich besorgen werden, in diesem Jahr eigentlich zu Weihnachten schenken soll.

Immerhin haben wir mit den Kindern schon vier Bleche Plätzchen gebacken. Während die großen Jungs sich routiniert ans Ausstechen machten, gelang es ihrer kleinen Schwester, 1,5 Jahre, mit erstaunlichem Geschick, den plattgerollten Plätzchenteig wieder vom Tisch abzuknibbeln und ihn sich immer dann fäustchenweise roh in den Mund zu stopfen, wenn keiner hinsah, weil wir anderen gerade mit den Plätzchenblechen am Ofen herumrangierten.

Mein Stiefsohn P. verknallte sich in diesem Jahr in die Ausstechförmchen, mit denen er ein großes X ausstechen konnte (siehe Foto oben: Riesen-Keks liegt oben links auf dem Blech). Das X-Ausstechförmchen ist ein Werbegeschenk, das ich vor ein paar Jahren von einem Messeveranstalter zugeschickt bekam, mit dem ich noch nie in direktem Kontakt stand und der mir also auch rein gar nichts sagt, obwohl er mir jedes Jahr aufs Neue schräge Werbegeschenke zukommen lässt, die ich zwei Tage vor Weihnachten in einem vollkommen überlaufenen Spätkauf mit angeschlossener DHL-Paketausgabe abholen muss. Zuhause bin ich beim Auspacken dann immer überrascht, wie sehr die Goodies des Messeveranstalters in die Kategorie “So bescheuert, dass sie als Marketingmaßnahme zur Kaltakquise von Kunden eigentlich nur mit Turboboost nach hinten losgehen können” fallen.

Dieser Messeveranstalter tut mir dann immer ein wenig leid. Ich nehme an, dass er an eine ultramittelmäßige Kommunikations-Agentur geraten ist, die wahrscheinlich ein vollkommen durchgeknalltes Jahresbudget aufruft, und dieses Budget folgendermaßen aufteilt:

98 Prozent: wandern direkt auf das Privatkonto des Inhabers der lausigen Kommunikations-Agentur.

1 Prozent: wird in Form eines untertariflichen Gehalts an die Mitarbeiter ausgezahlt.

1 Prozent: wird für schrottige Werbegeschenke ausgegeben, die sich der Inhaber der lausigen Agentur in Eigenregie ausdenkt, bevor die Mitarbeiter den Krempel über Nacht beschaffen und die DHL ihn dann kurz vor Weihnachten durch die Bundesrepublik zuckeln darf.

Wenn jemand aus dem Team des Messeveranstalters, der mir das X-Plätzchenförmchen schickte, diese Zeilen jetzt also gerade liest, möge er sich doch bitte mal ganz kurz melden. Ich kenne mindestens zwanzig kleine, unfassbar großartige Berliner Agenturen, die ziemlich genau wissen, wie man sich ein richtig gutes Kundengeschenk ausdenkt und es den Kunden im Anschluss auch noch so zukommen lässt, dass sie nicht unbedingt einen halben Tag ihrer Lebenszeit in der Schlange eine müffeligen Berliner Spätis verdödeln müssen.

Eigentlich wollte ich das X-Förmchen damals direkt in die gelbe Tonne werfen. Aber dann dachte ich mir, dass es aus Gründen der Nachhaltigkeit wohl sinnvoll wäre, es zu behalten, worauf ich es in die Schublade zu den Sternen, Tannenbäumen, Rentieren und allen anderen Plätzchenformen legte. Während mein Stiefsohn P., der am Samstag schon zehn Jahre alt wird, eine Menge X-Kekse ausstach, erklärte er mir, dass er das X auch deshalb so “nice” fände (ist ein Wort, das Zehnjährige heute alle zwei Minuten verwenden), weil es ihn an das Album “X” des Musikers Ed Sheeran erinnere.

Ich zuckte kurz zusammen. Das Album “X” beschallte vor ein paar Jahren eine zeitlang nonstop unsere Bude. Und wenn ich mich richtig erinnere, konnten wir damals nicht mal zur Tankstelle, nicht ins Olympiabad, nicht ins “Goodfriends” in die Kantstraße, also nirgendwo hinfahren, ohne, dass uns die Kinder zwangen, auf jeder verdammten Autofahrt die Karre mit der Platte von Ed Sheeran zuzudröhnen. Ich konnte Smash-Hits wie “Afire Love”, “Photograph” und “Nina” damals eine Weile rückwärts, seitwärts, ja, sogar im Handstand mitsingen und war tatsächlich kurz davor, mit der Geschäftsidee des Jahrhunderts reich zu werden:

Ich wollte einen eigenen youtube-Kanal aufmachen und als “Ed Sheeran”-Double grottenschlechte Cover-Versionen seiner bekanntesten Hits auf meinen Kanal hochladen.

Ich hätte definitiv etwas Geld in die Hand genommen, um ein paar Stunden Schauspielunterricht bei einem Schauspiellehrer mit Comedy-Hintergrund zu nehmen, der mit mir an einem leicht näseligen, schwäbisch-englischen Akzent gearbeitet hätte.

Außerdem hatte ich geplant, mir eine Perücke mit rostroter Kurzhaarfrisur aus dem Netz zu bestellen, sie über Nacht in einen Rasensprenger zu hängen und anschließend im Toaster zehn Sekunden anzurösten, bevor ich mit dem Ding auf dem Kopf in die nächstbeste Tram gesprungen wäre, um in einen Second-Hand-Laden zu fahren. Dort hätte ich mir ein Holzfällerhemd und ein T-Shirt mit kryptischem Aufdruck eines mittelmässigen Mediengestalters besorgt, bevor ich mich in einem Laden für Kindergeburtstagsbedarf nach tonnenweise Selbstklebe-Tattos umgesehen hätte. Auf den Tattos, mit denen ich mir zuhause Ed-Sheeran-mäßig die kompletten Arme zugetackert hätte, wären dann zum Beispiel lachende Pommestüten zu sehen, HotDogs, die einander gerade in den Würgegriff nehmen oder kleine Gespenster (<— ich LIEBE kleine Gespenster).

Aus dieser Geschäftsidee wurde leider bisher noch nichts, weil ich die siebenhundert topgeheimen Geschäftsideen, die ich in der Regel in krakeliger Schrift auf siebenhundert einzelnen Post-Its notiere und lose in einer zugemüllten Schreibtischschublade aufbewahre, ja fast nie in die Praxis umsetze. In den meisten Fällen ist es wahrscheinlich besser, aber manchmal eben auch fatal, wenn man bedenkt, wie vielversprechend die Ed-Sheeran-Double-Idee war.

Wenn ich mir vorstelle, dass all diese Firmen, die ihr Produkt supergern in meinen intergalaktisch erfolgreichen Youtube-Videos platziert und mir das Geld aktenkofferweise in die Hand gedrückt hätten, heute zu deutlich weniger talentierten Youtubern rennen, bekomme ich sofort ziemlich schlechte Laune.

Außerdem hätte es schon auch sein können, dass ich irgendwann eine Anfrage aus dem Kanzleramt in meinem E-Mail-Postfach vorgefunden hätte. In der Anfrage hätte man mir möglicherweise angeboten, dass die Bundeskanzlerin mich mal in meinem zum Youtube-Studio umgebauten Gästeklo besuchen könnte. Und darauf hätte ich mich wirklich gefreut. Ich meine: die Bundeskanzlerin! Bei mir zuhause! Im Gästeklo!

Zunächst hätte ich der Kanzlerin vermutlich angeboten, dass wir uns auf einen Kaffee zusammensetzen, ein paar X-Plätzchen mampfen und ein paar Gespenster-Tattoos auf unsere Unterarme kleben. Und hinterher hätten wir vor laufender Kamera zusammen “Tenerife Sea von Ed Sheeran für unsere youtube-Fans einsingen können. Das Knutsch- und Schmuselied würde die Bundeskanzlerin dann in korrekter Stimmlage singen, während ich sie einen Halbtonschritt tiefer begleite, krass dissonant und in einem näseligen Gemisch aus Schwänglisch (Schwäbisch-Englisch).

Egal. Es schlummern ja noch 699 weitere Geschäftsideen in meiner Schreibtischschublade. Vielleicht ziehe ich, wenn ich das nächste Mal meine Hand in die Schublade stecke und auf gut Glück ein Post-It herausziehe, ja die Idee heraus, bei der ich mir überlegt habe, wie unglaublich viel Spaß es machen würde, den ganzen Sommer lang mit einem Merchandise-Stand auf einem Erdbeerfeld herumzustehen.

Auf dem Stand wären die Produkte, also alle T-Shirts, Bettwäsche, Boxershorts, Schlüsselanhänger, Jutebeutel, Kaffeebecher, Strandmatten, Badehandtücher und so weiter, mit (und da kommt ihr jetzt wahrscheinlich NIE drauf!) Erdbeeren bedruckt. Richtig geniale Idee, oder? Ich weiss. Muss man erstmal drauf kommen. Auf dem Stand würde ich zwei Boxen aufstellen und die Erdbeerfelder um mich herum den ganzen Tag mit dem Song “Strawberry fields forever” volldröhnen. Ich würde laut Business-Plan so viel verticken, dass ich höchstwahrscheinlich nur im Sommer arbeiten müsste. Und das allerbeste an meinem Erdbeer-Merchandise-Stand (Namensvorschläge für das Business sind übrigens jederzeit willkommen): ich könnte morgens um zehn die 20-Liter-Glasterrine mit Erdbeerbowle rausstellen und sofort dazu übergehen, sie in Pappbechern an alle Freunde auszuschenken. Könnte ein ziemlich guter Sommer für uns alle werden.

Wieder zurück. Und nichts, wie es war.

Schwupps, hier bin ich wieder, bitte entschuldigt, hier ist EWIG nichts mehr passiert. Mir selbst kommts zwar vor, als hätte ich erst gestern den letzten Post hochgeladen. Aber ihr habt selbstverständlich recht: hier war’s in letzter Zeit mindestens so still, wie in der Kiste mit dem Weihnachtsschmuck, die wir Anfang Januar auf den Dachboden schleppen und bis Ende November komplett sich selbst und den Mäusen überlassen, die hin und wieder den Pappdeckel anheben und im besten Fall nur kurz hineinluschern.

Ich hatte unendlich viele, schöne Ideen für das Blog in den letzten anderthalb Jahren. Aber ich hab’s einfach nicht geschafft, sie hier aufzuschreiben. Im April 2018 kam unsere Tochter zur Welt. Und die Zeit, die mir hinterher noch bleib für Jobs, an denen ich Spaß hatte, für den Petersen-Shop, die Illustrationen und alles, woran ich sonst noch so herumknispeln könnte, wenn ich nicht gerade für irgendeine offizielle Stelle irgendwelche mir aus vollkommen unerklärlichen Gründen verschollene Steuerunterlagen auftreiben muss, nun, diese noch vor anderthalb Jahren gefühlt so unerschöpfliche Zeit schnurrte sich nach der Geburt unseres Babies auf maximal zwei Minuten am Tag zusammen. Gut, sagen wir drei.

Drei Minuten, eine Zeitspanne, in der ich’s nach der Entbindung gerade mal schaffte, mich ich unter die Dusche zu stellen. War ein Tag ohne Haare waschen, versteht sich. Nachdem eine Schwester des Berliner Westend-Klinikums mir an einem sonnigen und unfaßbar warmen Tag im April 2018 wenige Minuten nach Mitternacht ein winziges, knautschiges und überraschend haarloses Bündel auf das verwaschene “Woodstock”-T-Shirt legte, das mein Mann ein paar Wochen zuvor aus Amerika mitgebracht und mir aus irgendeinem Grund im Vorwehenzimmer übergezogen hatte, war alles andere auch erstmal unwichtig. Und so blieb es auch für eine lange Zeit.

Plötzlich war da dieses ganz große Glück. Die stumme Dankbarkeit. Eine unendlichen Liebe. Wenig später hielt eine Schwester meinem Mann im Kreissaal eine kleine Schere ins Gesicht. Er möge doch jetzt gern die Nabelschnur durchtrennen.

Er schaute auf die blutschleimverschmierte Kordel, die dicker, seerosenalgenartiger und etwas schleimiger war, als ich sie mir vorgestellt hatte, und scherzte noch kurz “Muss ich?”, worauf die Schwester ihn dermaßen fassungslos anstarrte, dass er sofort zur Schere griff. In diesem Moment fragte ich mich noch, ob ich wenige Wochen vor meinem achtunddreißigsten Geburtstag überhaupt alt genug sei, um die Verantwortung für ein dermaßen winziges Baby tragen zu können. Beantwortet habe ich mir diese Frage nicht mehr. Wenige Sekunden später übernahm meine Tochter die Regie. Erst über den Kreisssaal, dann über meinen Mann und mich.

Wenige Stunden, nachdem wir mit dem Baby aus dem Krankenhaus abgefahren waren und es uns zuhause gemütlich gemacht hatten, traf dann auch schon exakt das ein, was mir fast alle Mütter im Freundeskreis vorausgesagt hatten: Das Baby schrie und wir hatten keine Ahnung, wie wir das abstellen sollten.

“Wart’s ab,”, hatte eine Freundin erzählt, die drei Monate vorher ihr erstes Kind bekommen hatte, “du wirst schon froh sein, wenn du von dem zweiten oder dritten Becher des entkoffeinierten Kaffees, den du dir im Laufe des Tages in der Küche ja immer wieder hoffnungsfroh aufsetzt, wenigstens mal ein paar Schlucke getrunken hast, bevor Du den kalten Rest in die Spüle kippst.”

Andere rieten mir vor der Geburt: “Räum jetzt noch einmal alles auf. Klopp’ deine löchrigen Schlaf-T-Shirts in die Tonne. Mach’ die Steuerunterlagen für die letzten hundert Jahre fertig und gib sie vollständig (!) im Steuerbüro ab. Triff dich mit noch einmal mit allen Freunden. Und allen Bekannten. Oder triff dich mit allen, mit denen du weder befreundet noch bekannt bist, aber die du immer schon ganz gern mal kennengelernt hättest. Geh’ nochmal um Friseur. Lies noch schnell die spannendsten drei der vierzehn Bücher, die ungelesen auf deinem Nachttisch einstauben…”

Über die Ratschläge, die in einem unablässigen Strom auf mich einrauschten (und die ich selbstverständlich für vollkommen übertrieben hielt), war ich im Nachhinein unendlich dankbar.

Und das beste war: vieles schaffte ich vor L’s Geburt tatsächlich noch. Als sie zur Welt kam, hatte ich die Steuer fertig, meinen Kleiderschrank durchsortiert und alle ausgeleierten Schlüppis entsorgt. Ich war noch einmal bei meinem Lieblingsfriseur in der Sanderstrasse (schaffe ich heute leider nicht mehr) und traf mich bei dieser Gelegenheit mit Freundinnen, die in Kreuzberg wohnten (schaffe ich heute leider immer noch so viel seltener, als ich’s mir wünsche).

Ich las Bücher, die sich mit allem anderen befaßten, aber eben noch nicht mit Fragen rund ums Stillen, ums Pucken und um den kryptischen Schlafrhythmus von Säuglingen. Ich fuhr mit meinem Mann und seinen Kindern noch einmal über Weihnachten zu seiner Familie nach Irland, wo wir einen wunderbar entspannten Urlaub verbrachten und ich mir zehn Tage lang wünschte, ich könnte alle bitzeligen, alkoholhaltigen Getränke mittrinken, die mir permanent angeboten wurden.

Dreieinhalb Monate später kam unsere Tochter zur Welt. Sie wollte Milch trinken, brauchte anfangs acht frische Windeln am Tag und sie hasste ihren Stubenwagen so sehr, dass wir ihn rausschmissen.  Fortan steckten wir unsere Tochter tagein, tagaus in ihre Baby-Trage, in der sie sich ähnlich wohl zu fühlen schien, als wäre das Ding so etwas wie ihr “Wohnzimmer”. Wieviele Kilometer mein Mann und ich mit der Babytrage im Wiegeschritt durch unsere Wohnung gekreiselt und geschuckelt sind, wird wahrscheinlich das bestgehütetste Geheimnis aller Zeiten zwischen uns und unseren Wohnzimmerdielen bleiben.

Irgendwann wurde meine Tochter dann grösser. Sie hielt ein Stück Banane in den Händen und biss eigenständig davon ab, musste also weniger gestillt und auch nicht mehr ganz so oft gewickelt werden. Sie spielte plötzlich mit einer Schaufel und einem Eimer im Sand und wollte nach einem ganzen Jahr, in dem sie regelrecht babytragensüchtig war, plötzlich überhaupt nichts mehr mit dem Ding zu tun haben.

L. geht jetzt in die Kita. Sie lernt dort spanisch und sagt morgens an dem kleinen Absperrgitter, das aus dem Umkleidebereich ins Spielzimmer führt,  “Adios, Mamaaaa..”, bevor sie in ihren Filzhausschuhen hinter dem Tresen des kleinen Kaufmannsladens verschwindet.

Am meisten bewegt mich, dass unsere Tochter heute selbst eine “Mama” ist. In der Kita wiegt sie die Puppen in den Schlaf und singt dazu ein Lied, bevor sie ihre “Babies” in die beiden winzigen Holzbettchen legt. Und wenn die Babies nicht schlafen wollen, dann trägt sie sie eben im Wiegeschritt in einem winzigen Ergo-Carrier für Puppen umher (Ja, das gibt’s! Ganz im Ernst. Sieht so niedlich aus! Die Puppen-Trage hat ein Elternpaar neulich der Kita gespendet!)

In der Zeit, in der L. in der Kita ist, habe ich – zumindest für ein paar Stunden – mein früheres Leben zurück. Ich trinke meinen Kaffee wieder heiß, auch den zweiten und den dritten am Tag. Ich treffe mich wieder mit Freunden in Kreuzberg und wenn ich wollte, könnte jederzeit bei meinem Friseur in der Sanderstraße anrufen und einen Termin vereinbaren. Der letzte Kita-Virus ist jedenfalls gerade überstanden.

Der Petersen-Shop soll in den nächsten Tagen noch etwas weihnachtlicher aussehen. Und auch hier, auf dem Petersen-Blog, soll jetzt endlich wieder mehr passieren. Hab’ ich mir jedenfalls fest vorgenommen. Also: Drückt mir die Daumen. Die Sternchen stehen ja irgendwie ganz gut, was meint Ihr?

Über das Wegwerfen von verschlissenen Leggins

 

Neulich dachte ich mir, ich versuch’s mal wieder mit Yoga. Ich fuhr in ein angesagtes Studio in Mitte, betrat die Umkleide und stieg in eine so richtig verwaschene American Apparel-Leggins.
Ich weiß, dass es längst an der Zeit wäre, die Dinger wegzutun. Aber seit der Pleite der amerikanischen Hipster-Kette kann ich mich aus für meinen Mann leider null nachvollziehbaren Gründen einfach nicht von den Stretch-Leggins trennen.

Die Gespräche zwischen B. und mir laufen da mittlerweile nach einem vollkommen festgefahrenen Schema ab:

Er: “Du hast doch so schöne Hosen im Schrank, mein Liebling…” (starrt auf die an den Knien furchtbar ausgebeulten Leggins, die ich trage)
Ich: “Die hab’ ich mir halt mal in New York gekauft.”
Er: “Wann? 1995???”
Ich: “Selbstverständlich nicht!”
Er (schiebt sich an der offenen Kühlschranktür eine Scheibe Salami in den Mund): “Ich will  ja nichts sagen, aber Du müsstest Dich in den Dingern mal von hinten sehen. Da sind die nämlich schon ganz schön durchsichtig (schmatz, schmatz).
Ich (leicht angefasst!): “Ich bin dann jetzt mal für ein paar Stunden weg.”
(Haustür fällt mit einem unfassbar lautem Knall ins Schloß.)

Nicht, dass mich diese Diskussionen unter Druck setzen würden. Und trotzdem fürchte ich, dass man es mit dem Herumgeschlumpfe in der Wohnung vielleicht nicht unbedingt übertreiben sollte, wenn man in einer festen Beziehung lebt oder miteinander verheiratet ist.

Der Mensch, der da jeden Morgen neben einem aufwacht, ist ja keine WG-Mitbewohnerin.

Es macht also weder Sinn, ihn ständig anzuherrschen, wenn er das Nutellla-Glas in seiner hektischen Ich-bin-Manager-und-Ach-Du-meine-Güte-hab-ichs-deshalb-mal-wieder-eilig-Art leergekratzt zurück in den Schrank stellt und kein neues besorgt. Noch muss er unbedingt wissen, wie sehr ich es liebe, mich, sobald er hektisch, hektisch auf einen Businesstrip abreist, mit einer unsexy Seesand-Mandel-Maske im Gesicht, einer Staffel der Serie “Entourage”, einer Maxi-Tüte Schokobons und einer abgewetzten Tigerenten-Wärmflasche unter die Bettdecke zu verziehen.

Eine WG-Mitbewohnerin würde das alles sicher für eine Weile verkraften, wenn man ihr ab und zu mal eine Flasche Wein und ein schweineteures, gut riechendes Beautyprodukt spendiert. Eine Ehe eher nicht.

Nach einigen, offen vor dem Ehepartner herumgeschlumpften Jahren kann es sehr gut sein, dass ich mir von B. einmal im Beisein eines chronisch zugekoksten Scheidungsanwalts anhören muss, ich hätte der Liebe meines Lebens gegenüber kein Interesse mehr gezeigt.

Nur deshalb sei B. in seiner Verzweiflung ja quasi dazu gezwungen gewesen, sich in die Arme und das Ikea-Bett einer 10 Jahre jüngeren und extrem heiß aufgestylten Schnalle zu werfen, die wahrscheinlich Bibi heißt und sich gerade einen Glitzerdiamanten-Sticker auf den Eckzahn hat kleben lassen, weil sie das “irgendwie witzig” fand.

Ich könnte bei diesem Anwaltstermin natürlich erwähnen, dass sich eine gewisse Person bei uns zuhause abends und am Wochenende seit Jahren in ausgebeulten Jogginghosen auf die Couch wirft, die englische Premier League streamt und sich parallel mit seinen Kumpels über WhatsApp blödelige Kommentare zum Spiel austauscht, während ich allein im Nebenzimmer sitze, Käsecracker esse, ein frühes Werk von Martin Walser lese und vergebens auf ein angeregtes Gespräch warte.

Und dann könnte ich vielleicht noch hinzufügen, dass mich die Proll-Phasen von B. trotzdem nie so schlimm abturnten, dass ich mir von einem echt heißen und frisch nach Berlin gezogenen Portugiesen (nur so ein Beispiel) , den ich über “Tinder” aufgekratzt hätte (wo ich zur Zeit selbstverständlich nicht angemeldet bin), in seiner Neuköllner 1,5-Zimmer-Bude mal zeigen ließ, was einer, der gerade erst 22 geworden ist (ich sag nur: alles wahrscheinlich noch mega straff!!!), eigentlich so für Moves auf seiner Kaltschaummatratze draufhat.

Aber solche Überlegungen behält man bei einem Termin mit dem Scheidungsanwalt vielleicht aus taktischen Gründen besser für sich, dachte ich, als ich mir im Yogastudio meinen dicken Wollpulli auszog und die superelektrisch in alle Himmelsrichtungen abstehenden Haare wieder in ein Zopfgummi zurückzwängte.

Ich sah mich um und stellte erleichtert fest, dass auch die anderen Mädels sich scheinbar nicht groß Gedanken über ihr Outfit gemacht hatten. Als alle die Umkleide verließen, folgte ich ihnen in einen dezent nach Räucherstäbchen duftenden Raum.

“Hi!”, sagte die Yoga-Lehrerin, die kurz nach uns durch die Tür schlüpfte. Sie war nicht besonders groß, trug ihr dunkelblondes, langes Haar offen und stellte sich im Vorbeigehen supernett mit “Ich bin Bettina. Wie geht’s Euch allen denn heute so?” vor.

Während Bettina eine CD in die Anlage schob und ein schmusiger Folksänger damit begann, ganz herzzerreißend über die unerwiderte Liebe zu einer längst anderweitig vergebenen Surfer-Braut zu singen, musste ich mich schwer zusammenreißen, um nicht unentwegt auf Bettinas Outfit zu starren: Sie trug eine schicke, schwarz-beige-braun gemusterte Leoparden-Leggins und ein schwarzes, extraweites Sweatshirt, das mit einem dezenten Totenkopf bedruckt war. Quer über dem verwaschenen Schädel las ich in einer punkigen und kein bißchen albernen Handschrift das Wort “Namasté”.

Die Klamotten, die sie trug, standen Bettina super. Sie waren lässig und sahen eins zu eins so aus, als wären sie von einem ehemaligen Super-Model entworfen worden, das mit 52 noch aussieht wie 28 und sich mit Verkäufen aus einer Yoga-Kollektion morgens vor dem Frühstück schon wieder ein kleines Vermögen dazuverdient.

Bettina drehte den Schmusesänger noch ein wenig lauter. Dann trabte sie mit kleinen Hüpfern auf ihre Matte. Wir falteten unsere Hände vors Herz und begannen, auf Bettinas Kommando in tiefen Zügen ein- und auszuatmen. Unauffällig starrte ich noch ein bißchen auf ihre Leoparden-Leggins. Dann schloß auch ich die Augen. Mein Atem beruhigte sich. Und ich kam tatsächlich ein bißchen runter.

Als wir fertig waren, zog ich mich um, stieg aufs Rad und beschloß auf dem Weg nach Hause, dass es jetzt vielleicht doch an der Zeit war, etwas zu ändern. Konnte es sein, dass es mir beim Yoga tatsächlich gelungen war, so etwas wie eine tief sitzende Blockade wegzuatmen? Ich öffnete die Tür zum Hof und rollte mit meinem Rad direkt vor die Mülltonnen. Dort riß ich sofort die Sporttasche auf und stopfte die verschlissene American-Apparel-Leggins in die schwarze Tonne.

Ich war schon im Treppenhaus, als ich nochmal runterging und mit meinem Handy ein Foto von den Leggins machte. Ich schickte es meinem Mann. Als ich die Wohnung aufschloß, bekam ich eine SMS mit einem nach oben gestreckten Daumen zurück.

“Wollen wir am Samstag abend mal wieder ausgehen?” textete ich ihm. “Nur wir zwei?” (Nicht, dass man mir im Büro des Scheidungsanwalts tatsächlich eines Tages vorwarf, ich wäre ständig zu sehr mit mir und meinen Käsecrackern beschäftigt gewesen.)

Mein Mann antwortete sofort mit einem großen, roten Herz. Kurz darauf folgte noch ein Smiley, auf dessen Augen zwei kleinere, verknallte Herzchen klebten.

Ich schickte ihm den kleinen, braun-weiß gefleckten Hund, der seine Zunge rausstreckt, weil mein Mann IMMER grinsen muss, wenn man ihm diesen Hund rüberbeamt. Und dann verlor ich mich im Netz auf einer absurd zeitintensiven Recherche nach der perfekten Leoprint-Leggins. So einer, wie Bettina sie trägt.

 

Und Ihr? Habt Ihr auch noch so schlumpfige Klamotten im Schrank, die längst in den Müll gehören? Schreibts mir an: melanie (at) hellopetersen.com !

Berliner Partythemen

Neulich saß ich mit einer Schachtel “After Eight” auf dem Schoß vor dem Rechner und las ich mich durch ein paar Blogs, als mir auffiel, dass auf einem gar nichts mehr passierte. Ich überflog den letzten Eintrag und stellte fest, dass er aus dem September stammte.

Einige von uns erinnern sich vielleicht: das war der Monat, in dem draußen noch die Sonne schien und es selbst an bewölkteren Tagen noch möglich war, sich mit einer richtig guten Freundin und zwei Stücken „New York Cheesecake“ von Barcomi’s auf den Balkon zu setzen.

Genialerweise musste die Freundin einem damals beim Kuchenessen auch noch nicht mit einer funzeligen Taschenlampe auf den Teller leuchten, damit nicht so viel von der Gabel flutschte und runter auf die Straße flog.

Ach, ist das alles lang’ her! Ich las noch ein bißchen auf dem Blog herum, auf dem seither nichts mehr passiert war und fragte mich, ob man sich um die Bloggerin vielleicht sorgen müsse. Sofort steigerte ich mich in ein furchtbares Szenario hinein, das Probleme mit ihrem Freund oder Mann einschloß und den erneuten Wechsel einer Führungskraft im Büro, obwohl die Bloggerin sich doch möglicherweise gerade erst mit ihrer vollkommen geistesgestörten Vorgesetzten arrangiert hatte.

Und wenn es nicht an Beziehungsproblemen oder Terror im Büro liegen konnte, dann doch wohl nur daran, so bildete ich mir ein, dass die Bloggerin innerhalb von drei Monaten aus ihrer Wohnung ausziehen musste.

In anderen deutschen Städten mag es ja durchaus noch Leute geben, die den Verlust ihrer Wohnung yogimäßig gelassen und mit Würde ertragen. In Berlin bleibt einem nach einer Kündigung durch den Vermieter eigentlich nichts anderes übrig, als sich morgens um halb zehn drei doppelte Korn in die Rübe zu kippen und im Anschluß hysterisch schreiend die Torstraße rauf- und runterzurennen.

Mag also sein, dass es den Betroffenen in anderen Städten besser gelingt, sich einzureden, dass es eh mal wieder Zeit war für etwas Neues. Einen neuen Stadtteil, neue Fahrtwege ins Büro oder so. Ein neuer Arbeitsweg stellt auch für die Berliner gar kein Problem dar. Alle mir bekannten Menschen, die in Berlin leben, arbeiten in der Kreativ-Branche und sind mental durchaus in der Lage, sich innerhalb von Nanosekunden auf neue Lebensumstände einzustellen. Wer es gewohnt ist, von morgens bis abends alles in die Tonne zu kloppen, was am Tag zuvor noch mit dem Chef, dem Kunden oder dem Menschen, mit dem man zusammen ist, ganz fest so abgesprochen war, sollte eigentlich wirklich nicht daran verzweifeln, dass er demnächst umziehen muss.

Die positive Grundeinstellung meiner Berliner Freunde hält in letzter Zeit allerdings immer nur so lange an, bis sie bei Immoscout “Berlin”, “Wohnung” und “bis maximal 3000 Euro” eingegeben haben. Die  fünf-sechs mickrigen Buden in den äußersten Berliner Randbezirken, die einem im Anschluss auf dem Monitor entgegenflackern, sind nichts für sensible Kreativseelen, die sich morgens vor dem selbstgeschroteten Müsli schon gleich von einer kleinen, bierseligen Schreierei in der Nachbarwohnung den Tag verderben lassen, habe ich mir sagen lassen.

Vielleicht übertreibe ich jetzt auch ein bißchen, aber mittlerweile scheint es schon so zu sein, als werfe der unfreiwillige Verlust der Wohnung einen hier in Berlin in eine schlimmere Lebenskrise, als ein fremdgehender Ehemann oder eine Führungskraft, die einem mikrowellenschwere Aktenordner hinterher schmeißt, weil man es gewagt hatte, vor 22.30 Uhr das Büro zu verlassen.

Nicht, dass ich es statistisch belegen könnte, aber ich bin mir hundertprozentig sicher, dass neunundneunzig Prozent der Menschen, die in Berlin zur Miete leben, sich tatsächlich lieber nach einem neuen Partner oder einem neuen, noch durchgeknallteren Arbeitgeber umsehen würden, als nach einer neuen Wohnung.

Das ist zwar – wie gesagt – nur ein vollkommen subjektiver Eindruck. Wer es gern etwas genauer wissen möchte, muss sich am kommenden Wochenende allerdings nur mal auf zwei Mitte-Parties stellen, den Schlechte-Laune-Satz „Meine total nette Ernährungsberaterin muss dringend umziehen, hat jemand in letzter Zeit vielleicht mal was von einer bezahlbaren 3-Zimmer-Wohnung mit Wanne und Balkon in den üblichen Stadtteilen gehört?“ in die Runde werfen und ein Aufnahmegerät auf die Fensterbank legen. Jeder, der noch ganz bei Trost ist, entfernt sich jetzt in seinem eigenen Interesse sofort von seinem Aufnahmegerät und begibt sich zu der lustigen Gruppe in die Küche, die wahrscheinlich gerade das Berliner Party-Thema Nr.2 „Wie überlebe ich in einer polyamourösen Beziehung, ohne mich vor lauter Selbstzweifeln ständig in die Spree zu werfen“ am Wickel hat.

Könnte es also nicht tatsächlich sein, dass die Bloggerin seit September nicht mehr schreibt, weil sie aus ihrer Berliner Wohnung herausgeflogen ist? Vielleicht überlegt sie jetzt, ob es unter den gegebenen Umständen nicht vielleicht sogar leichter wäre, sich eine neue Existenz in einem ganz anderen Land aufzubauen.

Das könnte ich vollkommen nachvollziehen! Warum muss man sich in Berlin-Mitte von einem unverfrorenen Makler, der schlecht angezogen ist und aus dem Mund riecht, bei der Wohnungsbesichtigung alle zweieinhalb Sekunden auf den Arsch glotzen lassen, wenn man dasselbe doch auch in Buenos Aires, Honululu oder Kho Samui haben kann? Und dort steht man doch dann wenigstens in einer leeren Wohnung oder Hütte in Buenos Aires (!), Honululu (!) oder Kho Samui (!) herum und könnte sich in diesem Moment also wenigstens einbilden, das Ekel-Treffen mit dem Makler sei ein weiterer, nötiger Schritt zu einem ganz sagenhaft aufregenden Leben, das jetzt nur noch darauf warte, begonnen zu werden. Ein Gedanke, der sich einem nach einer Wohnungsbesichtigung in Berlin-Marzahn ja zur Zeit leider nicht unbedingt aufdrängt.

Wenn die Bloggerin jetzt also tatsächlich umziehen muss, weil der Eigentümer in ihrer bezahlbaren und unfassbar zentral gelegenen Wohnung eine schauspielernde Tochter aus dritter Ehe unterbringen will, dann wäre das schon ein mittelschweres Desaster.

Wahrscheinlich darf diese schauspielernde Tochter, die seit ihrer Entbindung daran gewöhnt ist, dass man ihr alles hinterherträgt, im Kiel-„Tatort“ als Komparsin ab und zu hinten links im Bild herumstehen und mit griesgrämiger Miene irgendwelche Papiere zusammentackern. Neulich habe ich gelesen, dass eine triste Bürosituation wie diese in TV-Krimis immer dann eingebaut wird, wenn der Regisseur ein bißchen deprimierenden Alltag auf dem Kommissariat zeigen möchte, damit einem in der nachfolgenden Szene erst recht das Blut in den Adern gefriert.

Nach der Szene auf dem vollgemüllten Depri-Polizeirevier kommt doch dann oft der gruselige Moment, in dem einen vor lauter Schreck darüber, dass der Täter schon wieder dem nächsten, ahnungslosen Opfer hinterherschleicht, die brandneuen und arschteuren Kontaktlinsen aus den Augen springen. Den glibschigen Dingern kann man von der Couch aus jetzt aber wenigstens dabei zusehen, wie sie sich die Ohren zuhalten, ins Bad schleichen, ohne Kreischerei Zähne putzen, sich freiwillig in ihre Reinigungslösung legen und noch ein bißchen in ihren Asterix-Comics blättern, während das nächste Mordopfer im Fernsehen jetzt garantiert bei Dämmerung mit einem schrottigen Fahrrad ohne Licht durch ein aberwitzig weit abgelegenes Waldstück zu seiner Oma fährt.

Ich wollte das Browserfenster gerade schließen, als ich bemerkte, dass es sich um mein eigenes Blog handelte, auf dem seit September nichts mehr passiert war. Ich ging in die Küche, warf die leeren „After Eight“-Papierkuverts in den Müll und beschloß, im neuen Jahr, das ja jetzt vor der Tür steht, wieder öfters zu bloggen. So lange ich noch eine Wohnung habe, aus der mich auch gerade keine Tatort-Komparsin herausscheucht, sollte ich die Zeit doch noch nutzen! Wer weiß, vielleicht muss ich am Ende sogar das Land verlassen. Und wie es auf der anderen Seite der Erde um die Internet-Verbindung in meiner Hütte bestellt wäre, kann ich gerade noch nicht so richtig einschätzen.

Schatz, wollen wir mal wieder umziehen?

(Willkommen zur ersten Folge von “In The Name Of Love: Die deutsch-irische Beziehung. Die Kolumne erscheint ab sofort in unregelmäßiger Abfolge auf dem PETERSEN-Blog. )

. . .

“In The Name Of Love”. Teil 1.

Schatz, wollen wir mal wieder umziehen? 

Wir wollen eigentlich nicht umziehen, aber manchmal wäre es eben doch ganz schön, noch ein viertes Zimmer zu haben.

„Ich hab`die perfekte Wohnung für uns gefunden“, sagt mein Mann und scrollt stolz durch die zehn Fotos, auf denen ein lichtdurchflutetes Dachgeschoss in Moabit zu sehen ist.

Ich schnappe mir sein Telefon. „Der Altbau kommt mir irgendwie bekannt vor?“ sage ich und zoome so dicht an den Grundriss heran, bis er schon ganz pixelig ist.

Zwei WhatsApps später stellt sich heraus, dass es tatsächlich dasselbe Mietshaus ist, in dem unsere sehr gute Freundin S. vor einer Weile die Wohnung einer Freundin einhütete. Unsere Freundin S. lebt mit ihrer Familie seit ein paar Jahren in Barcelona. Weil ihr Mann beruflich gerade unterwegs war, flog S. mit den beiden Jungs (4 und 6 Jahre) nach Berlin, um uns alle mal wieder zu besuchen.

Ihre Freundin war unterwegs. Deshalb hatte S. die Wohnung in Moabit mit den Kindern auch ganz für sich allein. Die Bude im Dachgeschoss muss echt der absolute Hammer gewesen sein. Bis S. eines nachmittags bei uns in der Küche von den Nachbarn erzählte.

„Tagsüber bin ich mit den Jungs ja eh immer unterwegs. Aber kaum setzen wir abends zu Hause einen Fuß in die Wohnung, klingelt das Paar aus der Wohnung unter uns auch schon an der Tür.”

„Ihr seid zu laut“, hatte die Frau, die in unserem Alter ist, geblafft. Meine Freundin warf einen unauffälligen Blick auf ihr Handgelenk. 20.15 Uhr. Ah ja. Moment! 20.15 Uhr???

Mochte ja sein, dass meine Freundin S. aus Barcelona mittlerweile anderes gewohnt war. Aber war Viertel nach acht in Deutschland denn jetzt das neue 22 Uhr?

Nein, war es nicht, beruhigten wir unsere Freundin schnell. Um Viertel nach acht musste man sich in  Berlin eigentlich für kaum etwas anblaffen lassen. Manch einer kam um diese Zeit doch erst von einer Party nach Hause, auf die er in der Absicht, nur mal kurz mit den Gastgebern anzustoßen, am Vorabend losgezogen war.

Von ihrer Freundin erfuhr S. später, dass die Nachbarin sich die Wohnung mit ihrem Mann zusammen gekauft hatte. Beim Kauf war ihnen leider nicht mitgeteilt worden, dass beim Ausbau der Wohnung über ihnen scheinbar ordentlich an Dämm- und Schallschutz gespart worden war. Jetzt hörten sie also jede einzelne Fruchtfliege, die in der Bude über ihnen vom Mülleimer auf den Holzfußboden plumpste, um dort auf der ungedämmten Diele vollgefressen einen fahren zu lassen.

Ich gebe meinem Mann das Handy zurück. Meine Skepsis steht mir wohl ins Gesicht geschrieben. Jedenfalls grinst er mich frech an und verkündet, dass er sich die Wohnung trotzdem mal ansehen werde.

„Gute Nachrichten!“ ruft er mir abends in Unterhose von der Couch aus über die Wochenend-Zusammenfassung der englischen Premier League hinweg zu. „Es ist nicht die Wohnung direkt über den Horrornachbarn. Sondern nur die daneben. Die Hoschis würden also nur schräg unter uns wohnenMit denen hätten wir gar nichts zu tun, Schatz.“

Dann macht er noch zwei übertrieben laute Knutscher in meine Richtung, was in unserer internen Pärchensprache so viel heißt wie “und auf das Argument, dass mich jetzt noch vom Gegenteil überzeugen soll, bin ich aber echt mal gespannt”. Er greift zur Fernbedienung, um die Glotze wieder lauter zu stellen.

Die Vorstellung, schräg über extrem lärmempfindlichen Leuten zu leben, finde ich zwar irgendwie beunruhigend. Aber das behalte ich lieber für mich. Neben diesem ultraentspannten Mann wirke ich aus irgendwelchen Gründen eh schon ständig, als gehörte ich eher zur “Glas Halbleer”-Fraktion, also zu all den anderen, deutschen Bedenkenträgern, die bei allem, was gerade erst begonnen hatte, Spaß zu machen, vor lauter Schiss sofort den Stecker ziehen.

Zwei Tage später steige ich also vollkommen unvoreingenommen aufs Rad, um mir selbst mal ein Bild von der Bude zu machen.

Die Maklerin, Mitte Fünfzig, dunkelblauer Hosenanzug, passende Pumps, Perlohrringe und blond durchgesträhnte Kurzhaarfrisur, kommt gleich zur Sache. „Die Wohnung ist wirklich ein Traum. 4 Zimmer, 2 Bäder, viel Platz auf der Dachterrasse, 115 Quadratmeter reine Wohnfläche, kleiner Hauswirtschaftsraum, Stauraum ohne Ende… Also, hier stimmt wirklich alles!“, sagt sie und breitet begeistert die Arme aus, so, wie es Angela Merkel in der “tagesschau” immer macht, wenn sie eine Gruppe Weltherrscher begrüßt.

Neugierig sehe ich mich um. Vier Zimmer wären eins mehr als bisher. Wir könnten es echt gut gebrauchen. Im Wohnzimmer ist ein offener Kamin eingebaut, in dem schon ein paar Holzscheite liegen. Im Winter könnt ich hier auf einem Sessel vor dem Feuer sicher stundenlang furchtbar wertvolle Romane lesen. Irgendwas von Henry James zum Beispiel, für den ich unter der Woche einfach nicht nötige Geduld aufbringe. Oder alle diese wundervoll traurigen Kurzgeschichtenbände von Alice Munro. Gedankenverloren trete ich an die bodentiefen Fenster. Auf der kleinen, quadratischen Dachterrasse vor mir sehe ich meinen Mann abends schon eine Handvoll Würstchen auf den Grill werfen.

„Haben die Leute, die hier vorher gewohnt haben, eigentlich irgendwas von den Nachbarn mitbekommen…“ frage ich beiläufig, während die Maklerin mir auf der teakholzgetäfelten Terrasse einen atemberaubenden Ausblick auf den Alexanderplatz und die Siegessäule zeigt.

„Ach, ob die hier ab und zu geklingelt haben? Von dieser Geschichte hat mir ihr Mann vorgestern schon erzählt. Nein, nein…,” winkt die nette Maklerin ab. “Die haben nicht ständig hier geklingelt. Also,… nicht, dass ich wüßte.”, fügt sie aber dann doch noch schnell hinzu. Freundlich zieht sie mich durch das Elternschlafzimmer ins daran angrenzende, kleinere Badezimmer, um mir die beiden “Zwillings-Waschbecken aus Naturstein” vorzuführen.

An den Rändern der beiden Naturstein-Waschbecken hat das Zähneputz- und Händewaschwasser über die Jahre leider schon so leicht milchig-weiße Ränder ins Holz gefräst.

Ich starre auf die häßlichen Wasserränder und überschlage im Hinterkopf direkt, wieviel es uns kosten würde, diese vollkommen unpraktische Waschtisch-Konstruktion eines Tages neu schreinern zu lassen. Ich kenne uns doch: keine zwei Wochen würden wir es durchhalten, das Ding jeden Abend nach dem Zähneputzen mit einer Handvoll Klopapier sofort wieder trockenzuwischen.

„Herzlichen Dank für die Besichtigung”, sage ich wenig später und lasse den Blick noch einmal durch die vollverglaste Wohnzimmerwand auf die Dachterrasse schweifen, auf den hellblauen Himmel über uns und auf die Bäume am Horizont, durch die vorhin die Siegesäule so golden hindurchglitzerte.

Im Treppenhaus stalke ich das Schuhregal des lärmempfindlichen Terrorpaars von unter uns. Zwei Paar Laufschuhe mittlerer Preisklasse, eine unbedruckte, eigentlich ganz okaye Fußmatte, ein blankgeputztes Messingschild mit den Nachnamen der Eigentümer. Bißchen spießig vielleicht. Aber eigentlich sieht der Krempel, der bei denen vor der Tür steht, ganz normal aus.

Beschwingt laufe ich die Treppe vom fünften Stock ins Erdgeschoss hinunter und sage mir, dass ich die Bedenken jetzt einfach mal alle über Bord werfen sollte. War doch eine Hammer-Wohnung!

Unten an den Briefkästen bleibe ich vor der Glasvitrine mit der Post von der Hausverwaltung hängen.

„Um die nachbarschaftliche Gemeinschaft wieder herzustellen, möchten wir darauf hinweisen, dass das Grillen im Sommer auf den Balkonen nicht öfter als 2 Mal im Monat zugelassen ist. Elektrische Grills sind von dieser Regel zwar ausgenommen, aber trotzdem sollte es untereinander Absprachen geben, um eine permanente Geruchsbelästigung der unbeteiligten Nachbarn zu vermeiden.“

Ich lese mir den Aushang einmal durch. Und noch einmal. Und dann raffe ich es endlich. Der Grill-Brief ist sowas wie ein Zeichen! Und das, was sich in mir regt, ist keine Bedenkenträgerei, sondern nur das pure Bauchgefühl. Wir werden hier einfach nicht reinpassen.

Mein Mann, seine Kids und ich, wir LIEBEN grillen. Im Sommer grillen wir nicht zwei Mal im Monat, sondern, wenn es draußen warm genug ist, oft auch zwei Mal am Tag. Gut, ich übertreibe hier jetzt ein bißchen. Aber Fakt ist: immer, wenn Würstchen im unteren Kühlschrankfach liegen, wird auch gegrillt. Ist eine unausgesprochene Familienregel.

Mein Mann legt beim Grillen meistens ein paar Schallplatten auf. Und Zimmerlautstärke kann man das, was da aus den Boxen herauskommt, eigentlich nicht mehr so richtig nennen. Ich glaube also kaum, dass wir die erste Seite der letzten „Daft Punk“-Platte überhaupt schon einmal umgedreht hätten, bevor es bei uns an der Tür Sturm bimmeln würde.

Mit einer Würstchensemmel in der Hand müssten mein Mann oder ich uns im Treppenhaus von den lärmempfindlichen Nachbarn von schräg unter uns oder von den grillempfindlichen Wutbürgern aus all den anderen Etagen zur Schnecke machen lassen. Sicher läge es an den Würstchen. Oder an der Musik. Oder am Ende doch nur daran, dass man so dreist wäre, sein Leben einfach ein bißchen zu genießen. Dass man die Muffen hätte, mal ein winziges bißchen über die Stränge zu schlagen in diesem Leben, dass ja so irre lang am Ende dann auch wieder nicht ist.

Als ich meinem Mann zuhause von dem Grillaushang erzähle, plumpst ihm fast der Topf mit der Béchamelsoße in die halbfertige Lasagne. „Also wenn wir uns eins nicht verbieten lassen, dann ist es ja wohl das Grillen“, sagt er fassungslos und rollt dabei das „R“ in „Grillen“ schon wieder so zauberhaft in seinem irischen Akzent, dass ich ihn ganz schnell an mich drücken muss.

(Foto: hausgemachte Pommes á la casa O’Connor)

Raumschiffe fliegen lernen

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Foto: hellopetersen auf Instagram

“Warum spielen wir nicht mal wieder etwas zusammen?”, fragten die Kinder am Wochenende und zogen das Star-Wars-Puzzle aus dem Schrank, für das sie im vorigen Jahr noch etwas zu klein waren.

Der jüngere trug das Puzzle in die Küche und setzte sich auf seinen Kinderstuhl. Dann kam der ältere dazu.

Ich stellte ein paar Kekse auf den Tisch und dachte plötzlich an Natalie Portman.

Portman spielt in “Star Wars” die großartige Padmé Amidala. Immer, wenn ihr langweilig ist, braust Padmé mit dem “Millenium Falcon” durch das Weltall. Nie fragte sich Padmé, ob sie es überhaupt schafft, das größte Raumschiff aller Zeiten zu lenken? Oder ob ein Mann das alles vielleicht viel besser könnte?

All diese Fragen stellt sich Padmé, während sie so im “Millenium Falcon” sitzt und dabei zusieht, wie am Fenster gerade in Lichtgeschwindigkeit die Milchstraße an ihr vorbeirast, ganz sicher nicht.

Padmé tut es einfach. Sie zögert nicht lang, sondern wirft sich auf den verschlissenen Pilotensitz, drückt ein paar Knöpfchen und dann hebt der Flieger auch schon ab.

Ich setzte mich zu den Jungs. Die Kinder öffneten den Karton, kippten die Puzzleteile aus und fragten mich, ob ich mit dem Rand beginnen könnte. Klar konnte ich das!

Während wir Kekse aßen und lospuzzlten, dachte ich an Padmé. Wenn ich mir in Zukunft ein bißchen was von ihrer Attitude abschaute, dachte ich, dann sähen meine Tage vielleicht schon bald ganz anders aus.

September

PETERSEN Sweatshirt OUI mailing

Drei Filme, drei Gadgets und eine Serie für den September:

1. Der Film “Party auf dem Todesstreifen”
…von Felix Denk und Sven von Thülen. Er ist im Juli auf arte ausgestrahlt worden. Ein Beitrag über die Wende und die ersten Jahre der Berliner Techno-Szene. Schnell gucken! Wer weiß, wie lange er noch über Vimeo online ist…

(P.S. Das Buch, das dem Film vorausgegangen ist: “Der Klang der Familie” von Felix Denk und Sven von Thülen. Erschienen im Suhrkamp Verlag.)

2. Dieser Schal,
…um den ich heute im ACNE Store bei uns in der Weinmeisterstraße herumgeschlichen bin. Aber, ganz ehrlich: WIEVIELE Schals muss ich eigentlich noch kaufen, bis ich endlich einsehen werden, dass ich schalmäßig bis an mein Lebensende bestens versorgt bin. Trotzdem: morgen gehe ich nochmal hin. Will ihn ja nur kurz nochmal angucken…

3. ..und noch ein Film: “Let it rock”!
Das  “Interview”-Magazin stellte ihn vor ein paar Tagen online. Unterzeile: “So wild ging es vor 10 Jahren in Mitte zu”. Wem´s hier jetzt zu Berlin-lastig wird, der geht sofort zum nächsten Punkt über. Ein Tipp für alle anderen: ebenfalls besser jetzt als später mal reinschauen. Könnte auch hier sehr gut sein, dass er schnell auf Nimmerwiedersehen aus dem Netz verschwindet. Ich selbst habe ihn auch noch nicht gesehen. Heute abend vielleicht?

4. Welcome back, Miss Prime Minister!
Gestern habe ich mir endlich die dritte Staffel der dänischen Serie “Borgen” bestellt. Wer die ersten zwei Staffeln noch nicht kennt, kann hier mal kurz in das fiktive Leben der dänischen Premierministerin Brigitte Nyborg reinluschern…  Schön nordisch streng und politisch-strategisch. Ich mag das ja! Wir waren im vorigen Winter völlig süchtig. Gibt aber auch Freunde, die überhaupt nicht reingekommen sind. Alles zu dunkel, Plot zu lahm. Ich würde sagen: einfach mal zwei Folgen anschmeißen und unbedingt auf Dänisch mit englischen Untertiteln gucken. So viel besser als in der deutschen Synchronisation. Und die Ministerin ist einem auch gleich tausendmal sympathischer!

5. Fragt mich nicht warum, aber gerade bin ich scharf auf diese Sneakers. Die sind in meiner Größe selbstverständlich ausverkauft. Wäääh. Da muss ich wohl nochmal warten.

6. Diese Woche auf itunes geguckt: den Martin Scorcese-Film  “The Wolf of Wallstreet”. Spektakulär unterhaltsam! Und ein “Schnee” wie zuletzt in “Fear and Loathing in Las Vegas” (wenn ich es richtig erinnere). In der Hauptrolle: Leo di Caprio auf Pille und Koks im Gold- äh Geldrausch. Muss man in 2 Sessions gucken. Der Film läuft ganze 3 Stunden – und es wird einem keine einzige Line Koks auf Po-Ritze in Nahaufnahme erspart. Zwischendrin sind wir  kurz runtergegangen und haben in der Straße mal eben was zu Abend gegessen, so ewig lief die Sause.

7. Und zu guter Letzt: endlich sind sie da! Der neue “Oui”-Sweater. Weil ich einfach viel öfters “oui” sagen will!  ♡
Und der neue Forever”-Sweater. Und jetzt ALLE…: “Bee-cause: when the sun shines, we´ll shine together. Told you I´d be here forever…”

 

At work

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Ich arbeite heute im Coworking Space “betahaus” am Moritzplatz. Immer gut, mal rauszukommen und seinen “Kiez” hin und wieder mal völlig hinter sich zu lassen. Ich muss nämlich immer ein bißchen vor die Tür geschubst werden (heute früh hat mich die Putzfrau rausgeschickt). Zuhause könnte ich stundenlang an meinem Schreibtisch vor mich hinwurschteln. Es dauert auch immer nicht lang, dann knödele ich meine ungekämmten Haare hoch, koche einen Kaffee nach dem anderen und komme – immer noch im Schlafanzug! – erst recht so richtig in den Schlumpf-Modus. Deshalb heute: hello world!

Heute morgen habe ich mich bereits auf ein Frühstück mit der zauberhaften Anne vom “Tiny Store” getroffen und jetzt also eine Runde Computerarbeit hier im “betahaus”. Junge Menschen unterhalten sich im Café angeregt über Jobs, über ihre Lebensläufe und “upcoming projects”. Klar, es wird auch über Surfbretter und Wellenreiten gesprochen, über coole Fahrräder und Grillwürste für den Park. Man spricht Englisch, Deutsch, Spanisch. Im Hintergrund läuft lässige Folk-Musik, ich habe eine Blockflöte- und ein paar Blechbläser herausgehört. Ja, ist schon richtig, alles so ein bißchen Großstadtklischee. Aber – hey – ich find´s hier gerade echt: urgemütlich. Vor mir steht eine Glasvase mit einem mächtigen Blumenstrauß von “My Bloomy Days”. Das kräftige Orange der Blüten macht mich ganz sprachlos. Und das beste: vor zehn Minuten habe ich hier in Rekordgeschwindigkeit einen spitzenmäßigen  Avocado-Lachs-Bagel verputzt. Das Mädchen mit dunkler Ponyfrisur, das mir den Bagel auf einer hübschen, rot-weiß-karierten Papierserviette über den Tresen geschoben hatte, ist aus Mexiko. Ich war kurz geschockt. Warum es sie denn bitte ausgerechnet von Mexiko nach Berlin verschlagen habe, fragte ich. Und ob es Ihr hier im Winter denn nicht viel zu kalt und grau gewesen sei. Da musste sie lachen. Nein, nein. “I like it here. I really do.” Yeah. Well. Mexiko, Berlin. Berlin, Mexiko. Die Sonne, die bunten Stoffe, die Burritos, Avocados, das Bier, das Meer. Ich glaube, ich müsste da nicht zweimal überlegen.

Happy Wednesday Euch allen.

Foto: Studded Rose on Tumblr